Interview mit Franz Kirchner / Westerberger Fullblood

Wenn ich als langjährige Vegetarierin einen Fleischbetrieb für ein Interview aufsuche, dann muß der schon ganz besondere Kriterien erfüllen. Als ich durch Zufall die neue Westerberger-Wagyu-Zucht entdeckte, wußte ich schnell, daß das einer von dieser Sorte ist. Denn nach der Website-Recherche war klar, daß hier Leute aus Überzeugung handeln.

Was für ein interessanter unternehmerischer Werdegang aber dahinter steckt, das konnte ich erst nach dem zweiten Interviewtermin halbwegs erfassen. Denn beim ersten waren zunächst einmal Stallbesichtigung und eine Einführung in die Besonderheiten der Wagyu-Rinder angesagt.

An einem sonnigen Frühsommertag sitzen wir also im Schatten eines Mirabellenbaums, die Hofkatzen streifen uns um die Füße. Franz Kirchner, Mitte 50, graues Haar, sportliche Statur und herzliches Auftreten, denkt schnell und spricht voller Leidenschaft. So sind wir schon mitten im Gespräch, bevor ich überhaupt zu meinen Fragen komme. Aber der Reihe nach…

Herr Kirchner, was machen Sie hier?

Wir züchten hier 100% Fullblood Wagyu Rinder. Das Besondere am Wagyu-Rind ist zum einen die besondere Marmorierung – das Muskelfleisch ist ja vom Fett durchzogen. Außerdem ist der Schmelzpunkt beim Fett ein anderer. Diese Kombination macht die Zartheit und den ganz besonderen Geschmack des Fleisches aus.

Wir haben hier keine Kreuzungsrinder, wie etwa Cross-Beef, Kobe-Style oder Wagyu-Cuvée. Das hat mit dem, was wir hier machen, nichts zu tun.

Die Rinder wachsen bei uns vier Jahre lang in Herdenauslaufhaltung auf und werden auch bei uns vor Ort geschlachtet.

Wir arbeiten mit der Gastronomie zusammen und demnächst werden wir auch einen Direktvertrieb übers Internet haben. Außerdem schauen wir, daß das ganze Tier verwertet wird und haben hier zB einen jungen, engagierten Gerber gefunden, der die Häute sämisch gerbt.

Haben Sie denn auch eine Bio-Auszeichnung?

Eigentlich hätten wir das, außer daß wir hier mit Embryonen-Transfer arbeiten. Wir haben ja vor fünf Jahren bei Null angefangen und brauchen im Jahr ca. 50 Schlachttiere, um wirtschaftlich zu arbeiten. Das heißt, wenn die Tiere vier Jahre alt werden, bräuchte ich 50 Mutterkühe. Durch den Embryonentransfer kommen wir aber sehr schnell an gute Genetik. Wir haben hier Spitzenkühe und kaufen Sperma aus den USA oder Deutschland. Die befruchteten Eizellen werden Kühen von zwei Milchviehbauern eingesetzt, mit denen wir hier zusammenarbeiten. Alle unsere Mutterkühe werden getestet auf Fleischmarker und auch auf Genfehler, sodaß wir in der Zucht nur noch Tiere mit über 90 Punkten und ohne Genfehler haben. Andere halten uns für verrückt, daß wir uns so mit der Genetik beschäftigen, aber unser Ziel ist es, eine Top-Fleischqualität zu liefern. Und Metzger wie Gastronomen bestätigen uns, daß die Qualität mit diesen Testergebnissen korreliert.

Aber natürlich macht die Genetik nur ca. 50% aus. Genauso wichtig ist der Start ins Leben. Ist die Mutterkuh gut versorgt? Wie ist das Futter, wie die Lebensbedingungen? Alle, die mit Fleisch zu tun haben, wissen, daß diese Ruhe bei der Aufzucht auch Einfluß auf die Fleischqualität hat.

Mir ist nicht wichtig, ob der Fleischkörper dann 50 kg mehr oder weniger auf die Waage bringt. Die Qualität muß stimmen. Es ist ein Naturprodukt und wir können uns gottseidank flexibel drauf einstellen. Das ist nicht überall so.

Sie müssen mal in ein Schlachthaus gehen und die Schweine da schreien hören. Auf der Messe wurde jetzt die erste vollautomatische Schlachtmaschine vorgestellt. Klar gibt es viele kleinere Betriebe, aber die Masse… das ist echt erschütternd. Wie viele Millionen Tiere, jedes davon ein Individuum, da mit einer Selbstverständlichkeit abgefertigt werden. Dafür ist das Gejammer groß, wenn anderswo auf der Welt etwas falsch läuft.

Ich will, daß die Leute hierher kommen und sich das anschauen, was wir hier machen. Es ist ja auch ein Vertrauensverhältnis, das wir da aufbauen. Klar ist das hinterfotzig, sie dann zu töten, aber das Tier bekommt‘s nicht mit. Der wußte am Morgen noch nicht, daß er heute, bei so einem schönen Wetter, stirbt.

Aber das weiß ich ja auch nicht. Wir leben unser Leben doch so, als gäb‘s noch viel zu tun. Ich hab‘ so ne Angewohnheit, wenn ich nachts im Bett lieg. Da frag ich mich, was waren die drei Höhepunkte heute? Und manche Tage sind Ar… langweilig. Aber auch da muß man reflektieren und merkt dann vielleicht, so schlecht war‘s doch nicht.

Und das Reflektieren hat mich dann auch in die Landwirtschaft getrieben. Mich hat‘s schon immer ein bißchen gewurmt. Ich mußte schon immer beim Mountainbiken auf der Alm stehenbleiben und die Kühe streicheln.

Irgendwann fehlt einem mal die Tiefe, der Inhalt, es geht ewig nur um‘s Geld.

Und wie kam es dann dazu, daß Sie Landwirt wurden?

Man wird älter und zunehmend geht es auch um Inhalte. Ich hab‘ bei Null angefangen, mich mit 18 selbständig gemacht und Tag und Nacht gearbeitet. Irgendwann wurden daraus 10 Druckereien und Copyshops in München. Dann kam noch das Immobiliengeschäft dazu. Das hat am Anfang wahnsinnig viel Spaß gemacht, wenn sich was bewegt hat und man was aufbaut. Aber irgendwann fehlt einem mal die Tiefe, der Inhalt, es geht ewig nur um‘s Geld.

Irgendwann denkst du: Ich will meine letzten Jahre etwas Sinnvolles tun. Sie können sich nicht vorstellen, was ich da mitnehme, wenn ich für 10 Minuten auf die Weide gehe und mir die Lore, meine Lieblingskuh, ins Ohr schnauft. Oder die Tami, die mich nie hat leiden können, und mittlerweile sind wir beste Freunde. Es ist faszinierend, wie sich das entwickelt, dieser Bezug zu den Tieren. Und dann natürlich die Goldgräberstimmung beim Gentest. Das ist alles so in sich schlüssig. Und jetzt begleitet man die Tiere auch noch auf dem letzten Weg und macht aus dem Lebewesen ein Lebensmittel. Wenn dann auch noch das Feedback kommt und die Leute „Wow!“ sagen, dann hab ich ein gutes Gefühl.

Ich habe mir eine Position erarbeitet, wo ich sagen kann: Das ist es, was ich will. Wir haben hier brutal viel Energie und Geld reingesteckt, am Anfang waren alle dagegen. Aber wir haben gezeigt, daß wir es ernst meinen, und dann ging‘s los.

Meine Vision ist eine entspannte, in allen Teilen ökologische Landwirtschaft. Alle wollen das! Aber wenn du‘s dann machen willst, stößt du überall auf bürokratische Hürden. Ich war damals ja noch nicht mal Landwirt. Dabei bin ich doch auch in meiner Firma auf jeden Mitarbeiter angewiesen! Ich bin dann auf die Abendschule gegangen und hab‘ zB gelernt, daß ich Sojaschrot aus Südamerika importieren muß, um diese und jene Milchleistung zu erreichen. Mir steht es nicht zu, das zu kritisieren, aber ich wollte es anders machen.

Daher haben wir auch Subventionen abgelehnt, um keine Cross-Compliance eingehen zu müssen. Wir sind hier niemandem Rechenschaft schuldig.

Und dann hat man so Leute hier wie die Monika, die mit den Tieren arbeitet und darin aufgeht. Oder den Marek, den Metzger, den alten Landwirt, die man alle mit viel Feingefühl unter einen Hut bringen mußte.

Und mittlerweile kommen andere zu uns und wir sind so eine Art Kompetenzzentrum geworden durch die ganzen Erfahrungen, die wir selber schon gesammelt haben.

Gab es besondere Herausforderungen auf diesem Weg?

Die Genehmigungen waren die größten. Alles, worauf ich einen Einfluß habe, kann ich selber lösen. Aber bei den Ämtern sind Sie auf andere Leute angewiesen. Das ist schon mühsam, diese Funktioniert-so-eh-nicht-Mentalität. Wir haben dann die Leute auf den Hof geholt und da haben sie uns geglaubt, daß das kein Hobby mehr ist. Und jetzt haben wir alle unsere Genehmigungen.

Dann natürlich jeder Tag: Das Wetter, die Planung, ein krankes Tier… Landwirtschaft ist ja Unternehmertum unter freiem Himmel – das ist anders als eine Fabrikhalle, wo du immer die gleichen Bedingungen hast.

Jetzt werden die Baustellen nach und nach geschlossen und dann fängt‘s an zu laufen.

Wie sieht denn der Alltag und die Stationen von so einem Mastrind aus?

Kurz vor dem Kalben kommen die Mutterkühe in eine Abkalbebox. Da bleiben sie die erste Zeit, das Kalb bekommt die Biestmilch und dann kommen sie zur Herde dazu und laufen im Herdenverband um‘s Gebäude. Die Ochsen werden mit 6 Monaten kastriert. Mit 8-10 Monaten kommen sie in die Halbstarkengruppen nach Bocköd, zuerst separiert zur Eingewöhnung, dann zur Herde und die Ränge werden geklärt. Da haben sie ganzjährig Auslauf auf 35 Hektar in Portionsweiden, zum Abendessen gibt‘s Heu und Kleegras.

Wenn sie mit 36 Monaten 650-750 kg erreicht haben, kommen sie nach vorne in Viererausläufe zur Endmast. In der Regel ist ein Ochse nach 48 bis 50 Monaten schlachtreif. Das sind dann richtige Bären. Die Monika geht rein und spricht mit ihnen, sie dackeln ihr tiefenentspannt hinterher in die Schlachtbox, wo sie ihr Futter schlabbern, dann kommt der Bolzen und das war‘s.

Das ist jetzt kein Marketing-Sprech, aber: Viele Landwirte kommen zu uns und sagen, sowas hätten sie noch nicht erlebt, daß die Mastochsen so entspannt sind. Du kannst zu denen auf die Weide gehen und die streicheln. Wie wir mit denen umgehen, das überträgt sich auch in das Verhalten untereinander in der Herde. Der Tornado, der große Ochse, ist da der Chef, aber einer von der Sorte: groß und breit, mit dem legt sich keiner an. Der bleibt auch hier, bis er tot umfällt, genauso wie die Lore oder die Tina.

Die AWF, die ich auch finanziell unterstütze, hat da eine Doku gedreht und die Tiertransporte aufgedeckt. Die männlichen Kälber von den Milchkühen werden zum Mästen bis nach Spanien oder sogar Ägypten transportiert. Und wie die mit denen umgehen (…) Klar verdursten da welche unterwegs, wenn die noch nicht mal wissen, wie man Wasser trinkt. Das ist ein Lebewesen! Und wir gehen damit um, als wär‘s Dreck.

Wir arbeiten hier tiergerecht und versuchen, ein Umfeld zu schaffen, in dem sie sich gut entwickeln und ein zufriedenes Leben führen können. Das ist meine Aufgabe und ich übernehme die Verantwortung bis zum Schluß, ihnen alles zu ersparen, was in der konventionellen Landwirtschaft üblich ist.

Kommen wir mal von der Landwirtschaft zur unternehmerischen und menschlichen Komponente: Was bedeutet für Sie Erfolg?

In erster Linie Zufriedenheit. Das klingt jetzt wahnsinnig arrogant, weil ich schon Geld verdient habe, aber Geld ist immer nur Mittel zum Zweck. Das versuche ich auch meinen Kindern klarzumachen. Ich bin viele Jahre dem Mammon hinterhergelaufen, das ist gut, wenn man unerfahren und hungrig ist. Aber irgendwann muß man sich weiterentwickeln.

Gerade das Druckereigeschäft ist ja knüppelhart. Ich hab dann eine Zeit lang Ausgleich im Sport gesucht, was auch zum Zwang geworden ist. Meine Frau hab ich erst mit 35 Jahren kennengelernt. Ich war lange auf der Suche und jede dieser Beziehungen hat mir etwas anderes mitgegeben. Aber erst als ich das Gefühl hatte, fertig zu sein, habe ich meine Frau getroffen. Und die hat mich mit ihrer Erdung auf die richtige Spur gebracht.

Auch mit den Kindern hat sich einiges getan. Dann setzte sich das langsam und ich hab die ganze Münchner Szene hinter mir gelassen. Heute habe ich einen kleinen Kreis von Leuten, alles erfolgreiche Unternehmer, aber die meiste Zeit verbringe ich mit meiner Familie, den Viechern, den Mitarbeitern. Und dann kommt so eine Grundzufriedenheit: Daß ich hinter dem stehe, was ich mache, und es freiwillig tue.

Wer war Ihr bester Lehrer im Leben?

Das Leben. Und die Niederlagen. Meine Mutter hat immer gesagt: Mach‘s selber. Ich hab‘ nie einen Mentor gehabt, sondern immer Trial and Error, immer wieder, bis es klappt.

Ich sag den Leuten oft: Ihr seid alle so belesen. Aber nicht erfahren. Wenn du ein Buch liest, dann machst du das, was dir ein anderer sagt. Aber du sollst machen was DU willst. Keiner kennt dich so gut wie du – deine Ängste, deine Schwächen, wo du hinwillst.

Das, was erfolgreiche von schlechten Unternehmern unterscheidet, ist die Summe gelöster Probleme.

Wie gehen Sie mit Niederlagen um?

Mittlerweile nehme ich die an und lerne draus. Aber ob ich überhaupt etwas als Niederlage empfunden habe? Wir sind auf der Reise und da gibt es immer gute und schlechte Erfahrungen.

Ich analysiere dann: Was habe ich falsch gemacht und warum? Was kann man anders machen?

Das, was erfolgreiche von schlechten Unternehmern unterscheidet, ist die Summe gelöster Probleme. Als Unternehmer unternimmst du was, und zwar immer. Sonst bist du kein Unternehmer, sondern ein Unterlasser.

Eine Niederlage ist nichts Schlechtes. Jeden Tag läuft irgendwas falsch, aber daraus lernen wir und werden immer besser. Und wir müssen uns dem Markt anpassen. Der Wurm muß immer dem Fisch schmecken und nicht dem Angler. Deshalb holen wir uns jetzt auch einen jungen Koch her und haben jemanden für Facebook und Instagram. Das soll jemand machen, dem das Spaß macht.

Ist das denn Ihre Zielgruppe, so junge Leute?

Diese Griller und Fleisch-Freaks, das sind eine ganz spezielle Klientel. Die wissen genau, was sie wollen und sind auch bereit, dafür zu bezahlen. Die sind natürlich in ganz Deutschland verteilt und die bestellen auch viel bei uns direkt und bekommen das dann in Stroh verpackt geliefert, ohne Styropor.

Was würden Sie auf eine Litfaßsäule am Marienplatz schreiben?

Respekt. Das fehlt uns am meisten. Gegenüber den Tieren, aber auch untereinander. Ob im Straßenverkehr, in Beziehungen, Pünktlichkeit bei Terminen…

Das ist die Voraussetzung für alles. Ich könnte nicht mit jemandem zusammenarbeiten, den ich nicht respektiere.

Welche Erfahrung hat Sie geprägt?

Daß man mit Fleiß und Beharrlichkeit seine Ziele erreichen kann. Daß man nicht einfach aufgeben darf, wenn‘s die ersten Probleme gibt, sondern daß es immer eine zweite Chance gibt und immer weitergeht.

Was treibt Sie an?

Wenn etwas entsteht, das ich greifen kann. Etwas eigenverantwortlich gestalten zu können, das hat mich immer fasziniert. Und Harmonie. Zu sehen, daß es allen gut geht. Ich hab‘ halt nur dieses eine Leben, ganz egal, was man mir erzählt, und ich möchte zufrieden sterben. Ich möchte jeden Tag sagen können: Gut war‘s.

Was macht einen guten Leader aus?

Konsequenz. Sie müssen für jedes Problem eine Lösung haben und Sie müssen die letzte Instanz sein. Das ist wie beim Boot fahren, die Leute müssen das Vertrauen zu Ihnen haben: Der da vorne muß es wissen und bringt uns durch die See und trifft Entscheidungen konsequent, wenn‘s für uns zu groß ist. Das Vertrauen brauchen Sie. Und dann tun die Leute alles für Sie mit Begeisterung. Aber sie müssen auch am Erfolg partizipieren dürfen, emotional oder pekuniär.

Das ist in meinen Augen Leadership und das fehlt ganz oft, vor allem, wenn‘s nicht das eigene Unternehmen ist.

Wen würden Sie gern einmal treffen?

Schwierig. Es gibt viele spannende Menschen, aber nicht den einen. Jonathan Meese zum Beispiel, den finde ich faszinierend, weil der sein Leben so konsequent durchzieht. Oder Franz-Josef Strauß, weil der so polarisiert hat. Oder Karl Valentin, weil ich dem seine Art von Humor gerne mal verstanden hätte. Oder Köche wie Eckart Witzigmann. Die nötigen mir so viel Respekt ab, das kann ich Ihnen gar nicht sagen. Die arbeiten bis zum Umfallen und sind alles Idealisten.

Aber die stillen Helden finde ich spannender. Es gibt so viele interessante Persönlichkeiten mit Fleiß und Willenskraft, von denen keiner was weiß. Das können auch Bedienungen oder Klofrauen sein.

Herr Kirchner, vielen Dank für Ihre Zeit und die interessanten Antworten!

Wer mehr über Westerberger Fullblood erfahren möchte, kann das hier tun:

Website: westerberger-fullblood.de
Facebook: westerbergerfullblood
Instagram: westerberger_fullblood

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