Wenn es in München ein Islandcafé gibt, dann muß ich da natürlich hin. Und gleich mit meinem ersten Besuch ist das Café Blá in der Au einer meiner Lieblingsorte in München geworden. Da hat es mich natürlich wahnsinnig gefreut, daß die Gründerin Stephanie sich Zeit für ein Interview genommen hat, das nicht nur Einblicke in den Alltag einer Gastronomin gewährte, sondern auch unerwartet tiefe Erkenntnisse…
Erzähl mal, wer bist du und was machst du?
Ich bin Stephanie Bjarnason und ich bin 2005 zum Studieren nach München gekommen. Aufgewachsen bin ich in einem Vorort von Paris als Vierte von vier Geschwistern mit einer französischen Mutter und einem isländischen Vater. Für ein paar Jahre habe ich hier als Ingenieurin gearbeitet, was mir wahnsinnig viel Spaß gemacht hat(!), aber irgendwann habe ich beschlossen, ins kalte Wasser zu springen und ein Café zu eröffnen. Wir hatten durch meinen Vater viele nordische Einflüsse in der Familie, allgemein sehr viel Offenheit und Besuch war immer willkommen. Das wollte ich auch im Café einbringen, dieses Gesellschaftsgefühl.
Was sind das für Leute, die hier in dein Café kommen?
Das ist sehr unterschiedlich. In meinem Businessplan war das am Anfang ein bißchen ein Thema, eine Zielgruppe zu definieren. Und ich hab’ gesagt: Ich möchte ein Café, wo jeder sich wohlfühlen kann. Das ist jetzt genau so wie ich es wollte. Es kommen unterschiedliche Menschen zusammen, die hier einen etwas abgelegenen Ort finden, wo sie sich wohlfühlen und von dem Umfeld inspirieren lassen können.
Dann viele Freelancer oder Neuselbständige, die sich mit dem Computer hier zum Arbeiten hinsetzen. Ich mache auch einmal im Monat so ein Startup-Frühstück. Ich mag diese Kreativität wahnsinnig, diese Dynamik… ich bin keine Deutsche und hab immer wieder den Eindruck, daß man sich erstmal rechtfertigen muß, wenn man als kreativer Mensch eine Idee hat und etwas verwirklichen will.
Ich hab’ das mit dem Café auch unzählige Male erlebt, daß man mir gesagt hat „Das ist so mutig!“, wo ich mir denke: Was ist da so mutig? Einfach machen! Im schlimmsten Fall funktioniert es nicht, das ist aber nicht das Ende der Welt.
Ganz genau!
Ich bin auch jemand, der sich schwer tut, nur auf etwas hinaus zu arbeiten, weil letztendlich kannst du mir auch nicht sagen, ob ich in 6 Monaten noch leben werde. Das soll gar nicht negativ klingen, aber ich will wirklich das Beste aus jedem Tag machen können und für mich und die Leute um mich herum was Schönes generieren. Geben ist mir wahnsinnig wichtig.
Da spielt bestimmt auch das rein, daß man nicht am Ende des Lebens denken will „Ich hatte da diese Idee, aber ich hab‘s nicht gewagt, aus Angst, daß etwas schiefgehen könnte“, oder?
Genau. Ich hab natürlich auch Ängste… kennst du das auch (lacht)? Das ist tatsächlich sehr präsent… aber nicht probieren ist für mich keine Option.
Ich glaube, das ist auch ganz normal, daß man das erlebt, als Selbständiger oder Unternehmer. Erfolgreiche Leute gehen nur anders damit um. Die stellen sich der Angst und machen‘s halt trotzdem. Und andere Leute lassen sich von der Angst einschüchtern.
Ja, genau. Was ich auch so wahnsinnig spannend finde: Egal, was passiert, für mich ist mein Café ein kleines Unternehmen. Ich hab’ auch wahnsinnig tolle Mitarbeiter, ein supernettes Team, auf das ich mich sehr verlassen kann. Das läuft auch mal ohne mich, das ist wahnsinnig schön. Und nichtsdestotrotz übernehme ich die volle Verantwortung.
Gestern war zB mieses Wetter und es lief gar nicht. Natürlich kannst du jetzt sagen, es liegt am Wetter, aber ich sag’ lieber: Was können wir machen, damit wir trotzdem funktionieren? Ich kann steuern, ich kann entscheiden. Ich will nicht sagen: Mir geht‘s schlecht, ich kann nix dagegen machen.
Was macht einen guten Barista/Mitarbeiter aus?
Das ist eine zwischenmenschliche Sache. Für mich ist wichtig, Leute zu finden, die zu mir passen, mit denen ich klar kommunizieren kann. Ich bin sehr, sehr direkt. Man kann mit mir über alles reden, und das soll man auch.
Wo ist dein Lieblingsort auf der ganzen Welt?
Tatsächlich auf Island. Ich bin ja jemand, der immer Vollgas gibt, leistungsgetrieben und eher ein Kontrollfreak. Und wenn ich in Island lande, habe ich schon beim ersten Schritt aus dem Flieger raus das Gefühl (atmet tief durch): Es ist alles gut so wie es ist und ich kann eh nichts kontrollieren. Dort bin ich so klein und kann die Außenwelt auf mich wirken lassen. Jökulsárlón ist zB ein Ort, den ich ganz intensiv spüre. Oder Landmannalaugar, ein bißchen weiter in den Bergen drin. Oder wenn ich vom Haus meiner Verwandten einfach auf den Berg in der Nähe laufe und Reykjavík im Sonnenuntergang sehe.
Was sind denn deine Werte?
Authentizität. Meine Freunde lachen mich immer aus, denn ich bin eine sehr schlechte Schauspielerin…
Ehrlichkeit und Respekt. Mir ist wichtig, daß man sich alles sagen kann und sich zwischenmenschlich immer auf Augenhöhe bewegt.
Ich glaube auch nicht so an Hierarchien und Sozialklassen, wir sind so klein in dieser Welt und nur für ein paar Jahre da. Für mich stehen die Menschen grundsätzlich im Vordergrund. Ich finde oft, daß wir uns das Leben schwerer machen als es sein müßte.
Da sagst du was, ja.
Aber warum? Ich weiß auch nicht. Ich versuche meinen Weg zu finden durch diese kapitalistische Gesellschaft. Natürlich muß ich auch gucken, daß das Café sich trägt.
Im Sommer bin ich viel in mich gegangen und kam zu dem Punkt, ich könnte mein Konzept auch so ausbauen, daß die Wochentage auch viel voller werden. Und dann hab ich mir gedacht: Nee, das will ich nicht. Dann wäre diese ruhige Atmosphäre nicht mehr da, und dann wäre das nicht mehr ich. Man muß nicht immer nur wachsen und mehr Geld verdienen.
Mir geht’s ja auch nicht schlecht. Bis jetzt konnte ich meine Miete zahlen, ich mache ein paar Abstriche, aber das Café erfüllt mich bei anderen Sachen. Warum setze ich mich also unter Druck aufgrund von Finanzen? Ich weiß auch nicht genau, was der richtige Weg ist…
Das ist doch das Wichtigste, daß man etwas macht, worin man selber aufgeht und einen Sinn sieht. Das entschädigt dann für die Abstriche, die man machen muß.
Erzähle von ein paar Herausforderungen, die du meistern mußtest.
Es gibt ein paar Sachen, an die ich mich nicht so gern erinnern möchte. Aber das gehört auch dazu…
Ich komme zB mit den Schwankungen nicht gut klar. Es gibt ruhige Tage und volle Tage. Wenn das Café immer konstant gleich gut laufen würde, was komplett unrealistisch ist, wäre es viel einfacher. Die ersten Monate war echt wenig los, und da hab ich mich schon gefragt: Was machst du hier eigentlich? Warum machst du das Ganze?
Und dann war Island auf einmal ein riesen Hype nach der Fußball-EM, da haben die Zeitungen und Zeitschriften angefangen, über mich zu schreiben. Wenn die SZ über dich schreibt, das liest jeder! Und dann ist am nächsten Tag jeder bei dir. Und wir waren gar nicht drauf vorbereitet, ich hatte nicht genügend Mitarbeiter, keine Erfahrung mit den Mengen, keine Prozesse. Ich kam nach Hause und habe gedacht: Das wird doch NIE hinhauen! Mittlerweile ist das anders, da gibt’s ein Heft mit vielen Checklisten und Prozessen. Meine Mitarbeiter nennen mich auch Queen of the Lists… :-)
Spielt da das Thema Kontrollfreak eine Rolle?
Ja, ganz klar. Zu der Zeit habe ich auch meine erste Therapie bei einer Psychologin gemacht und es hat mir wahnsinnig geholfen zu verstehen, was in mir steckt. Insofern steckt in diesem Café auch wahnsinnig viel von mir selbst, jedes Detail hat für mich eine Bedeutung. Da ist es natürlich schwierig, auch Mitarbeiter zu haben, die das verstehen und die gleichen Werte vertreten, die für dich selbstverständlich sind, aber sonst für keinen.
Was wertschätzt du wirklich im Leben?
Die Menschen. Das ist immer wieder das Gleiche. Und vieles, das man im Alltag nutzt und was gar nicht so selbstverständlich ist.
Was ist den Leuten um dich herum wichtig?
Hmmm… Ich hab weniger eine Clique, sondern mehr Freundschaften unter vier Augen. Wo man über alles reden kann und so sein kann wie man ist. Man hört vielleicht auch eine Zeit lang nichts voneinander und kann trotzdem immer anrufen und sagen: Ich brauch’ Hilfe.
Woraus schöpfst du deine Kraft? Wobei tankst du auf?
Beim Sport. Ich brauche Bewegung und Sauerstoff. Ich merke das ganz eindeutig, wenn ich ein paar Tage mir viel vornehme und viel von zu Hause arbeite. Oder am Berg, wenn du oben am Gipfel bist und die Stadt von so weit weg siehst. Da scheinen die ganzen Schwankungen, der Streß und der Druck so bedeutungslos…
Was hörst du, was liest du?
Ich höre sehr viele Podcasts. Beim Auto fahren oder wenn ich draußen bin. Viele Gründerpodcasts, zum Beispiel einen amerikanischen namens „StartUp“ von Gimlet Media. Oder einen deutschen namens „Hotel Matze“. Das gibt mir wahnsinnig viel Kraft, weil du merkst: Jeder macht das Gleiche durch.
Generell finde ich Biografien von Leuten, die etwas Wertvolles gemacht haben, interessant. Zu sehen: Das sind auch keine Übermenschen, oft sind es viele Zufälle, die sie erfolgreich gemacht haben, die haben die gleichen Zweifel und Ängste.
Was bedeutet Erfolg für dich?
Die Frage stelle ich mir immer. Erfüllung ist mir das Wichtigste. Mir geht’s gut, wenn ich das Gefühl habe, es geht den Leuten um mich herum gut. Ich sage nicht, daß Geld gar keine Rolle spielt, denn das wäre gelogen. Ich kann ja auch nicht auf meine Kosten den anderen das Leben schön machen. Es muß auch für mich unter dem Strich was bleiben. Daß ich auf Sachen, die mir wichtig sind, nicht verzichten muß.
Der beste Ratschlag, den du je von jemand bekommen hast?
Einfach machen. Hört sich doof an, aber: Mach!
Hast du eine Botschaft an die Welt da draußen?
Zusammen ist man stärker als allein. In München oder großen Städten fühlen sich unglaublich viele Leute alleine, weil jeder für sich kämpft und auf sich fokussiert ist. Dieses Communitygefühl haben wir kaum noch in den Städten und das ist schade. Da wäre auch mein Wunsch, den Leuten zu sagen: Seid füreinander da.
Was steht als Nächstes an bei dir?
Ich glaube, daß der Name Café Blá viel Potential hat. Aktuell arbeite ich an einem Online-Shop. Dort soll es Kaffeespezialitäten geben, aber auch skandinavische und isländische Produkte von kleinen Herstellern, an die ich glaube, oder wo die Menschen dahinter mich begeistern. Ich will damit auch meine Marke stärken, die Philosophie und die Werte, die ich damit in die Gesellschaft bringen möchte. Mal gucken, in welche Richtung sich das alles entwickelt…
Vielen Dank, liebe Stephanie, für das inspirierende Gespräch!
Ergänzung: Mittlerweile war ich bei zwei Gründerfrühstücken dabei, die unglaublich inspirierend sind und bei denen ich tolle Leute kennengelernt habe. Der erste Island-Foto-Vortrag im Café Blá war ein voller Erfolg und daher haben wir uns entschlossen, noch einen zweiten Termin anzubieten, und zwar am 5. Februar ab 19 Uhr. Ich bin gespannt auf alles, was wir sonst noch so auf die Beine stellen werden… :-)